Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73 II

Allegro non troppo
Adagio non troppo
Allegretto grazioso (Quasi andantino)
Allegro con spirito

Man hat die Zweite von Brahms oft als „Sommersinfonie“ bezeichnet und es stimmt, dass sie sich im Vergleich mit ihrer Vorgängerin weniger „ernst“ gibt – „ernsthaft“ ist sie jedoch in gleichem Maße. Vielleicht kann man ihre über weite Strecken vorherrschende Heiterkeit auch als den Wunschtraum eines Melancholikers auffassen, dessen grüblerischer Tiefsinn sich auch durch Tanz und Singen nicht immer überdecken lässt, sondern an neuralgischen Punkten hervorblitzt und zum Ausdruck und Ausbruch kommt. So zitiert Brahms zwar im ersten Satz eine Phrase aus seiner eigenen Vertonung des Heine-Gedichts „Frühling“ bei den Worten „Es liebt sich so lieblich im Lenze“, diese heitere, unbeschwerte Liebe hat er selbst aber in Wirklichkeit nie gefunden. So überrascht es nicht, wenn der norddeutsche Junggeselle seine tiefsten Gefühle musikalisch selten unverstellt zeigt. Der Versuch, sie zu camouflagieren, scheitert nur mitunter an ihrer offenbaren Heftigkeit.

Entstanden ist Brahms’ Opus 73 1877 im Sommerurlaub am Kärntner Wörthersee. Der Komponist wies selbst darauf hin, dass ihm die Melodien dort nur so zugeflogen seien, und tatsächlich erstaunt die melodische Erfindungskraft des Werkes. Lyrische Passagen wie gleich der vollkommen unpathetische Sinfoniebeginn oder auch große Teile des ausladenden Adagios schöpfen ihre Überzeugungskraft aus dieser „Melodienseligkeit“. Dem steht eine eigenwillige, beinahe widerborstige Rhythmik entgegen, an der sich die langen Melodiebögen mitunter heftig reiben. In den Durchführungsteilen der Ecksätze wiederum führt Brahms unter Aufbietung all seines kontrapunktischen Könnens die Motive in dramatische Konflikte und große Spannungen hinein. An Soloinstrumenten stechen immer wieder Oboe und Horn hervor, doch auch das langgezogene Solo der Cellogruppe verleiht dem Klangbild der Sinfonie ihr individuelles Gepräge. Entzückend anzuhören ist der dritte Satz, ein kleines Juwel weit entfernt von jeglicher Scherzo-Thematik. Vielmehr dringt hier über weite Strecken ein einnehmender Serenadenton ans Ohr, der zwei Mal von raschen Abschnitten aufgelockert wird. Am Schluss lugt ein schmerzliches Motiv in der bereits erwähnten Weise wie ein einsamer Besucher eines fröhlichen Sommerfestes kurz hervor. Das sprühende Finale möchte diese Zweifel beiseite wischen. Kraftvoll fegt es darüber hinweg. Freilich darf man sich vom Glanz der Trompeten auch hier nicht so ganz blenden lassen, wie der melancholische Einschub gegen Ende zeigt. Dieser „Sommersinfonie“ sind Schatten-, Gewitter- und Nachtseiten nicht nur nicht fremd, sondern eher recht vertraut…

 

Text: Dr. Stephan Höllwerth