Stravinsky war ein „musikalischer Kosmopolit“. Geboren in St. Peterburg studierte er bei Nikolai Rimski-Korsakow und damit bei einem europäisch orientierten Komponisten. Stravinksy ging ebenfalls nach Europa. Drei Ballette im Auftrag des weltbekannten „Ballet russe“ – Feuervogel, Petrouschka und Frühlingsopfer – sorgten für internationales Aufsehen. Den darin eingeschlagenen kompositorischen Weg in Richtung Bruitismus setzte Stravinsky aber nicht fort. Vielmehr wandte er sich unter dem Einfluss des feinsinnig-innovativen Jean Cocteau und der Komponistengruppe „Les Six“ einer neoklassizistischen Ästhetik zu. Diese Umkehr ging mit ähnlichen Tendenzen der bildenden Kunst konform. Wenn etwa Picasso Versatzstücke der klassischen Malerei in neuen Farben, Kombinationen und Perspektiven zeigte, so entspricht dies Stravinskys Verfahren, Themen klassischer Komponisten in neuer Setzweise, Klangfarbe und Harmonik zu verarbeiten. Seine Ballettmusik zu „Pulcinella“ geht dementsprechend über eine bloße Bearbeitung von Musik Giovanni Battista Pergolesis weit hinaus.
Vielmehr scheint Stravinskys eigene Handschrift in jedem Takt durch. So sparte er nicht mit hinzugefügten Dissonanzen, die der Musik eine innere Erregtheit und Unruhe verleihen. Auffällig sind auch flirrende Verzierungen der Soli sowie rhythmische Komplexität. Insgesamt wirkt der Klang, nicht zuletzt durch die Gegenüberstellung von Solo-Gruppe (Streichquintett) und Orchester, überraschend durchsichtig. Dies entspricht im Sinne der neoklassizistischen Ästhetik einer Gegenreaktion auf die überkommene Fülle des spätromantischen Orchesterklangs.
Übrigens ist der Bezug zu Picasso nicht zufällig: Für die Pariser Uraufführung von Pulcinella im Jahr 1920 hatte der Spanier das Bühnenbild zur Handlung rund um die Kasperlfigur Pulcinella im Stil der Commedia dell’arte entworfen. Die Suite daraus geht auf eine Bearbeitung für das Boston Symphony Orchestra zurück, dessen Leiter Pierre Monteux einst die Uraufführung von Stravinskys Sacre dirigiert hatte.