Nur an raren Punkten der langen abendländischen Musikgeschichte haben sich Künstler in derart kongenialer schöpferischer Gemeinschaft zusammengefunden wie bei Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo da Ponte. Ob sie menschlich viel gemeinsam hatten, bleibt offen; Künstlerisch ergänzten sich diese beiden genialen Dramatiker aber auf das Allerglücklichste.
Der ehemalige Priester Lorenzo da Ponte (1749 – 1838) wäre mit seinem unsteten Leben selbst eine seiner besten Opernfiguren geworden. Geradezu „filmtauglich“ möchte man sein abenteuerliches Leben nennen. Als konvertierter Jude wurde Da Ponte in seiner Jugend von einem Bischof adoptiert, um ihm einen gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen. Er schlug dem Wunsch seines Gönners folgend die Priesterlaufbahn ein und wurde schon 1770 Lehrer für Rhetorik. Im Jahr nach seiner Weihe ging er 1774 als Lehrer für klassische Literatur nach Treviso. Dort warf ihn aber eine Liebesaffäre aus der Bahn: Wegen Ehebruchs und Konkubinats wurde da Ponte 1779 gar aus Venezien verbannt. Zwei Jahre später kam er auf Vermittlung Antonio Salieris, für den er Opernlibretti verfasste, an den Wiener Hof und traf dort mit Mozart zusammen. In rascher Folge entstanden die drei Meisteropern „Le nozze di Figaro“ (1786), „Don Giovanni“ (1787) und „Cosi fan tutte“ (1790). 1791 fiel Da Ponte einer Intrige zum Opfer und gelangte über Prag, wo er Casanova traf, 1792 als Impressario ans Kings Theatre in London. Finanzielle Schwierigkeiten veranlassten ihn 1804 aber schließlich zum Aufbruch nach Amerika – zuerst nach Pennsylvanien, später nach New York, wo da Ponte sich als Händler für Tabak, Branntwein, Obst und Gemüse durchschlug. Aber erneut gelang es ihm, Fuß zu fassen. 1825 lehrt er als Professor für italienische Literatur am Columbia College in New York. 1830 stellt er das erste amerikanische Opernhaus auf die Beine (1836 abgebrannt). Seine letzte Ruhestätte fand da Ponte in New York. Was für ein Weg auch geographisch!
Da Pontes Opernlibretti kennzeichnet ein unbestechlicher, bisweilen zynischer Blick auf die „conditio humana“ in all ihren Facetten. Er trifft das Hohe und das Gemeine in gleicher Weise, hat Sinn für gesellschaftspolitische Hintergründe und ist bei aller Philosophie ein instinktsicherer Dramatiker, der den Gesetzen der Bühnen genügt. Typisch für die drei Da Ponte-Opern ist, dass der Textdichter die mitunter etwas steife Vorlage durch den Einbezug von Buffo-Elementen aufweicht. Im „Figaro“ wird Beaumarchais im Grunde harte politische Aussage durch Figuren wie das Anklägerterzett oder den Gärtner Antonio ebenso abgemildert wie im „Don Giovanni“ Giuseppe Gazzanigas moralisierende Anlage durch eine Figur wie den Kammerdiener Leporello. Und auch in der „Cosi“ wird die skeptische Grundthese, dass es nämlich so etwas wie Treue gar nicht gäbe, durch den inszenierten Partnerwechsel mit hinterlistiger Komik ad absurdum geführt. In allen drei Stücken entstehen die dramatischen Verwicklungen im Grunde aus dem Gegensatz zwischen Logos und Eros. Immer sind es gesellschaftlich akzeptierte Normen und Prinzipien, die durch die Liebeswirren der Protagonisten in Frage gestellt werden. Im Figaro betrifft dieses Verhältnis das „ius prima noctis“, das aristokratischen Herrschern die erste Nacht mit einer frisch vermählten Dienstmagd einräumte. Im „Giovanni“ sind es die bis über den Tod hinaus wirkenden familiären Bande, die der „Triebtäter“ mit Füßen tritt, bevor sie ihn schließlich selbst zu Fall bringen. In der „Cosi“ wird der rechtlich bindende Verlöbnisbund durch ein maliziöses Verkleidungsspiel außer Kraft gesetzt und der Wandelbarkeit des menschlichen Herzens ein bitterböser Spiegel vorgehalten. Nicht ohne Hinterlist führt der ehemalige Priester Da Ponte seine Figuren bis an den Rand des Abgrunds (im „Giovanni“ sogar darüber hinaus!), so als wäre er auch selbst enttäuscht, dass die menschliche Wirklichkeit den gesellschaftlichen Forderungen nicht gerecht wird.
Musikalisch destilliert die Operngala die musikalische Essenz aus den Da Ponte-Opern heraus. Ariose Höhepunkte fügen sich gewissermaßen zu einer „Oper im Schnelldurchlauf“: Der Bogen spannt sich im „Don Giovanni“ von der dämonischen Ouvertüre über das reizende Duett “La ci darem la mano”, Donna Elviras Arie „Mi tradi quell’allma ingrata“, Zerlinas rührendes “Batti, batti” bis zum furiosen Schlusssextett. Ausschnitte aus der „Cosi“ beinhalten beide große Arien der Fiordiligi (“Come scoglio“ und „Per pietá“), die wissende Belehrung „Una donna a quindici anni“ der erfahrenen Zofe Despina, die sehnsüchtige Arie des Verehrers Guglielmo “Rivolgete a lui lo sguardo” und das Terzett “Soave il vento”. Auch die Ausschnitte aus dem „Figaro“ lassen die Oper in nuce erstehen: die rasante Ouvertüre, Cherubinos gefühlsverwirrte Arie„Non so più“, Don Ottavios anbetungsvolle Verehrung “Il mio tesoro”, das Duett Gräfin-Susanna “Che soave zeffiretto”, die Rosenarie der Susanna “Giunse al fin il momento”, die energiegeladene Arie des Grafen “Hai gia vinta la causa” und das stürmische Finale “Gente, gente”, als der ganze Schwindel und das Ränkespiel des Grafen am Schluss aufliegt.
Wie ein genialer Schachspieler zieht da Ponte seine Figuren am Brett der Gefühle. Dass sie dabei tiefe Schatten ins Allgemein-Menschliche werfen, verdanken sie Mozarts genialer musikalischer Beleuchtung.