Nicht immer sind Besatzungszeiten kulturell so fruchtbar wie die Türkenbelagerung Wiens im 17. Jahrhundert. Immerhin wäre das weltbekannte „Wiener Kaffeehaus“ ohne die Belagerung der kaffeekochenden und – trinkenden Invasoren nicht entstanden. Freilich ging es der türkischen Besatzungsmacht nicht um Vertraulichkeit mit der Wiener Bevölkerung bei einem gemeinsamen „Kleinen Braunen“… Im Gegenteil, die Elitetruppe der osmanischen Armee – die „Janitscharen“ – galt als besonders kriegerisch und grausam. Zu Kinderlosigkeit und ledigem Stand verpflichtet waren sie auf ein wagemutiges, brutales Vorgehen gedrillt. In der Schlacht setzten sie bestimmte Instrumente und Rhythmen zum Aufputschen ihrer Krieger, aber auch zur Verständigung darüber ein, welche Taktik und Truppenbewegung angesagt war. Fast immer sind diese Janitscharen-Musiken besonders schnell und von laut klingenden Schlaginstrumenten wie Basstrommel, Triangel und Zimbeln (Becken) beherrscht.
Wie der Kaffee hat sich auch die Janitscharenmusik als ein friedliches Überbleibsel der Belagerung in Wien erhalten. Noch im 18. Jahrhundert war es „en vogue“, türkischen Militärkapellen zu lauschen. Ja mehr noch: Sogar die Wiener Klassiker haben Anregungen der Janitscharen in ihrer Kunstmusik aufgegriffen – am gewichtigsten wohl Mozart selbst in seinem Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“. Was man an der Janitscharenmusik schätzte und von ihr erwartete, beschreibt Mozart in einem Brief an den Vater vom 26. September 1781: „Der Janitscharen-Chor ist für einen Janitscharen-Chor alles, was man verlangen kann: kurz und lustig;“. Spritzig und rhythmisch musste sie sein – und wenn möglich orientalisch angehaucht, zum Beispiel durch die Verwendung des „harmonischen Moll“ mit dem typischen übermäßigen Sekundschritt am Ende. Durch die Verwendung der türkischen Schlaginstrumente sowie die Bevorzugung der Piccoloflöte gab Mozart seiner „Entführung“ starkes Lokalkolorit und erfüllte Publikumswünsche und Clichévorstellungen auf seine eigene geniale Weise.
Auch in anderen Werken finden sich Anspielungen. Der bekannte „Türkische Marsch“ aus Mozarts Klaviersonate KV 331 etwa trägt dieselbe „alla turca“-Anweisung wie eine Passage im dritten Satz des A-Dur Violinkonzert KV 219, in der die türkischen Trommelgeräusche durch das Anschlagen der tiefen Streichersaiten mit dem Bogen („col legno“) imitiert werden. Und auch Ludwig van Beethoven nahm mit einem „Türkischen Marsch“ in seiner Schauspielmusik zu „Die Ruinen von Athen“ ebenso Bezug auf die im damaligen Wien so beliebte Spielart der türkischen Militärmusik wie Joseph Haydn in seiner „Militärsinfonie“ Hob. I/100. Die Schauspielmusik zu Voltaires „Zaire“ von Michael Haydn passt gleich doppelt ins Programmkonzept: Denn einerseits untermalte der Komponist die Handlung in dem von Osmanen besetzten Jerusalem wiederum mit türkischem Instrumentarium, andererseits vertonte er eine Vorlage, die auch Mozart für seine „Zaide“ benutzt hat. Damit schließt sich der Kreis zum Namenspatron der Bad Reichenhaller Mozartwoche und zugleich erweitert sich der kulturelle Horizont des Festivals – unpolitisch, aber dem Zeitgeschehen gemäß – um eine „orientalische“ Note.