Auch Ravel baute mit „La Valse“ eine Brücke zwischen Wien und Paris. Musikalisch ist sein Tanzpoem eine Skizze über den Wiener Walzer, inhaltlich geht es aber über Tanzmusik weit hinaus. Fast scheint es, als wollte der Komponist exzessiv jene „Clichées viennoises“ ausreizen, denen Richard Strauss in seinem Rosenkavalier noch unverblümt gehuldigt hatte. Bei Ravel ist Wien nicht mehr nur der Ort des Tanzvergnügens, sondern auch die Hauptstadt einer zerfallenen Donaumonarchie. In „La Valse“ dreht sich das alte Europa in einem furiosen Kreisel ein letztes Mal am Rand des Abgrunds – das aber dafür bis zur Besinnungslosigkeit.
Dieser Eindruck entsteht musikalisch auch dadurch, weil Ravel – eigentlich in Analogie zu seinem „Bolero“ – Elemente des Wiener Walzers wie typische rhythmische Motive und harmonische Wendungen konsequent übersteigert und von gegenläufigen Tendenzen überlagert. Zusehends übernehmen nämlich verzerrte Rhythmen und dissonante Harmonien das Kommando. Eine irgendwie aus dem Ruder laufende Steigerung führt schließlich weit weg von jeglicher Walzerseligkeit zu einem überhitzten „danse infernal“, an dessen Ende sich das Stück in beinahe selbstzerstörerischer Weise überdreht. Das harmlose Programm, das Ravel seiner Partitur voranstellte, sagt davon freilich nichts: „Flüchtig lassen sich durch schwebende Nebelschleier hindurch walzertanzende Paare erkennen. Nach und nach lösen sich die Schleier auf: man erblickt einen riesigen Saal mit zahllosen im Kreise wirbelnden Menschen. Die Szene erhellt sich zunehmend; plötzlich erstrahlen die Kronleuchter in hellem Glanz. Eine kaiserliche Residenz um 1855.“
Die Entstehungsgeschichte dieses singulären Stücks reicht bis ins Jahr 1906 zurück. Den eigentlichen Auftrag erhielt Ravel aber erst 1919 von Sergei Djagilew für dessen Ballets Russes. Der wählerische Impressario lehnte „La Valse“ als Ballettmusik ab und so erklang es bei der Uraufführung im Dezember 1920 in Paris als reines Orchesterwerk eben ohne Tanz. In dieser Form „dreht“ es sich bis heute im Konzertsaal weiter – mit ungebrochenem Erfolg.