Mit seiner Oper „Die verkaufte Braut“ war Bedrich Smetana Mitte des 19. Jahrhunderts zum Vater der tschechischen Kunstmusik geworden. Wenig später zog er auf sinfonischem Gebiet mit seinem Zyklus „Mein Vaterland“ nach. Diese sechs sinfonischen Dichtungen über Landschaft und Mythen Böhmens trafen den patriotischen Nerv seiner tschechischen Zeitgenossen offenbar genau.
Das berühmteste Werk daraus ist der zweite Satz, „Die Moldau“. Hier vereinigen sich Smetanas Natur- und Heimatliebe aufs Glücklichste. Das einsätzige Stück gibt nicht nur die naturalistische Schilderung eines Flussverlaufs, sondern hebt den Fluss als Symbol eines starken und erstarkenden Böhmens aufs Tablett. Was die „Moldau“ aus dem Reigen der Geschwisterwerke meiner Meinung nach heraushebt, ist die absolute Übereinstimmung zwischen poetischer Vision und musikalischer Inspiration. Wir, die wir heute an Filmaufnahmen von Naturschönheiten gewöhnt sind, können Smetanas Fantasie gar nicht genug bewundern, mit der er einzelne Stationen an unserem geistigen Auge vorüberziehen lässt: den Moldau-Ursprung, die Waldjagd, die Bauernpolka, den Nymphenreigen, die Stromschnellen, die Burg Vysehrad. Das alles ist hinreißend porträtiert, aber eben auch musikalisch genial in Szene gesetzt. Musikalisches Abbild der Moldau ist das wandlungsfähige Rondothema, das sich vom zarten Beginn bis zur voller Apotheose immer mehr steigert. Möge unser eigenes Leben genauso frisch und kräftig weiterfließen wie der stets vorwärtsdrängende Fluss und wir unerwartete Stromschnellen so sicher umschiffen wie er!